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Projektreise nach Kenia – die offizielle Übergabe des Wassertanks

Wir sind zurück aus Afrika. Hinter uns liegen zwei ereignisreiche Wochen im Kwale District an der südlichen Ostküste Kenias. Die Erlebnisse und Eindrücke sind so vielfältig und facettenreich, dass sie kaum in Worte zu fassen sind. Sie reichen von tiefer Betroffenheit angesichts der so unwürdigen Lebensbedingungen und dem damit verbundenen Wunsch sofort Abhilfe schaffen zu wollen über die Begeisterung beim Besuch der erfolgreichen Vereinsprojekte bis hin zu einem Gefühl der Enttäuschung, wenn sich hier und da doch auch einmal das Gefühl einschleicht, eher als Geldgeber statt als Gegenüber angesehen zu werden. Doch der Reihe nach.

Wir sind unterwegs mit einer siebenköpfigen Gruppe des Vereins „Wir helfen in Afrika e.V.“. Persönliches Hauptanliegen dieser Reise ist die Eröffnung des 180.000 Liter fassenden Wassertanks an der Oasis Academy in Mamba Village, für den mein Mann und ich mit unserer Australien-umradlung im vergangenen Jahr Spendengelder gesammelt haben. Daneben wollen wir die Gelegenheit nutzen, ein paar tiefere Einblicke in die Vereinsarbeit vor Ort zu gewinnen.

Wir landen in Mombasa und bereits auf dem Weg vom Flughafen umfängt uns das bunte afrikanische Treiben, das wir von unserer Transafrika-Reise im Jahr 2008 schon so gut kennen. Uns begrüßen ein paradiesisches Fleckchen Erde, knappe 30 Grad und ein wunderschöner palmengesäumter Sandstrand. Ideale Urlaubsbedingungen. Doch das alles rückt für uns so schnell in den Hintergrund, wie für die meisten hier lebenden Menschen. Für sie dreht sich das Leben um ganz andere Dinge: Eine Arbeitsstelle, ausreichend Lebensmittel, Gesundheit und Bildung. Für Genuss bleibt da eher wenig Raum.

Unser Programm ist umfangreich. Wir besuchen eine Augenklink, insgesamt fünf verschiedene Schulen – zwei davon mehrmals, überreichen 16 Lebensmittelpakte und besuchen einige der insgesamt 152 Patenkinder in ihrem Zuhause. Des Weiteren begutachten wir das nun fertiggestellte Geburtshaus der Krankenstation in Lunga Lunga, überreichen im Namen des Wolfgang-Ernst-Gymnasiums in Büdingen Unterrichtsmaterialien, wohnen der Ausmessung und Verteilung gebrauchter Brillen in einem kleinen Dorf bei und erleben die Behandlung zahlreicher kleiner Kinderfüße, die von Jiggers befallen sind. Dabei werden wir stets von Josef und Peter begleitet, den beiden einheimischen Helfern des Vereins, ohne die es nicht ginge. Übersetzen, erklären, verhandeln, vermitteln und ein Wissen um die Gegebenheiten vor Ort ist einfach unerlässlich.

Bereits am zweiten Tag wird mir klar, dass nachhaltige Projektarbeit alles andere als einfach ist. Wir stehen vor einem neu gebauten Toilettenblock an der Mwakigwena Schule in Ukunda, dessen Mauerwerk bereits ein Jahr nach Fertigstellung von einigen Rissen durchzogen ist. „Wie kann das sein? Das ist doch noch so gut wie neu!“, schießt es mir ein wenig enttäuscht durch den Kopf. Es wird diskutiert, viel gesprochen und schlussendlich beschlossen, dass der zuständige Baumeister, der in diesem Fall direkt von der Schule für das Projekt beauftragt worden war, baulich nachbessern muss. Da er die wenigen hierfür benötigten Materialien nicht selbst finanzieren kann, stellt sie der Verein zur Verfügung. Er hingegen bringt im Gegenzug seine Arbeitsleistung kostenlos ein.

Je mehr wir in den nächsten Tagen erleben und sehen, desto deutlicher wird mir, dass zwischen den deutschen Qualitätsvorstellungen und den afrikanischen Möglichkeiten mitunter eine Lücke klafft. Eingeschränkte Materialverfügbarkeiten, veraltetes Werkzeug, wenig fundiertes Fachwissen und nicht zuletzt die enormen klimatischen Bedingungen führen dazu, dass es immer wieder Sinn macht, bereits realisierte Projekte in Augenschein zu nehmen und ggf. nachzubessern und neu beauftragte Projekte mit den verantwortlichen Fachkräften vor Ort detailliert zu besprechen. Denn so kann gemeinsam gelernt und verbessert werden, Fertigkeiten und Standard steigen. Entwicklungshilfe in ihrer reinsten Form. So ist es eine große Freude zu sehen, dass die Zusammenarbeit mit den vom Verein beauftragten Handwerkern in den letzten Jahren stetig zu einer Qualitätsverbesserung in der baulichen Umsetzung geführt hat. Statt dem üblichen betonierten Fußboden beispielsweise, der immer wieder viel zu schnell von Löchern durchzogen ist, werden inzwischen Fliesen aus Beton gefertigt und fachmännisch verlegt. Die Lebensdauer des Bodens wird dadurch deutlich verlängert. Auch das Geburtshaus in Lunga Lunga und die vier neuen Klassenräume an der Renate School in Mamba Village können sich sehen lassen!

Seit Fertigstellung des Geburtshauses haben sich in den vergangenen drei Monaten schon einige Frauen zu Kontrolluntersuchungen eingefunden und bereits 9 Babys haben in dem neuen „Kreissaal“ das Licht der Welt erblickt. Ist die Geburt ohne Komplikationen verlaufen, treten die Mütter bereits wenige Stunden später mit ihren Babys den Heimweg an, denn zu Hause warten zumeist schon andere Kinder und die häuslichen Pflichten auf sie. Um die Vorzüge einer hygienischen und von einer Fachkraft begleiteten Geburt in der Bevölkerung weiter zu verbreiten, haben die Schwestern der Mission „Sisters of St. Joseph“, an die das Geburtshaus angeschlossen ist, ein „Programm“ aufgesetzt, bei dem die zur Voruntersuchung erscheinenden Schwangeren einige mit Folsäure angereicherte Lebensmittel zur Kräftigung für sich und das Ungeborene bekommen. Nach der Geburt erhalten die Mütter zudem ein „Starterpaket“ für ihr Baby: eine Garnitur Kleidung, ein Mützchen, Söckchen und eine Babydecke. Die offizielle Einweihung des Geburtshauses findet im kommenden Februar durch den Erzbischof von Mombasa statt, aber auch eine Gruppe von „Wir helfen in Afrika e.V.“ wird dabei sein.

Und dann sehen wir ihn endlich: den Wassertank. Er ist viel größer, als wir ihn uns vorgestellt haben. An die 11 Meter im Durchmesser und ziemlich tief, wie der Blick in sein Inneres zeigt. Gemeinsam mit den kenianischen Baumeistern, den Projektleitern des Vereins, dem Schuldirektor und den Mitreisenden begutachten wir Tank, Pumpe, Regenrinnen, Rohrleitungen und Hochbehälter gründlich und sind sehr zufrieden. Das Strampeln rund um Australien hat sich gelohnt. Jetzt fehlt nur noch der Regen…

Am Tag vor der offiziellen Einweihung versammeln wir an der Oasis Academy einige der älteren Schüler um uns. Wir wollen ein wenig erzählen. Von Australien, vom Radeln, von den vielen vielen Spendern, die den Bau des Wassertanks erst möglich gemacht haben, von Gemeinsamkeiten und von Unterschieden zwischen Australien und Kenia. Da wären an erster Stelle die Fakten: Während Australien auf einer Fläche von 7,74 Mio. km2 23,78 Mio. Einwohner beherbergt [= 3,1 Einwohner pro km2], leben in Kenia 46 Mio. Menschen auf 580.400 km2 [= 77,6 Einwohner pro km2]. In Deutschland sind es übrigens 230 Einwohner pro km2. Weitere Unterschiede, so arbeiten wir mit den Schülern heraus, bestehen im Vorkommen der Wildtiere. Elefanten, Löwen und Co. weichen den Kängurus und den Koalas. Doch auch Gemeinsamkeiten gibt es so einige. Da wären beispielsweise der Anbau von Zuckerrohr, Bananen und Mangos aber auch die mit den afrikanischen Boabab-Bäumern verwandten Boabs, die im Norden Australiens wachsen. Und last but not least: Die wertvolle Ressource Wasser, die auch in Australien überall ein Thema ist. So zeigen wir den Kindern anhand ausgedruckter Fotos, dass auch wir unser Wasser während der Tour sehr häufig aus mit Regenwasser gespeisten Wassertanks bezogen haben. Und auch wir mussten es über weite Strecken schleppen, wenn auch nur auf dem Rad. Doch Wasserschleppen gehört für die Kinder der Oasis Academy zumindest während der Schulzeit nun endlich der Vergangenheit an.

Neben der offiziellen Übergabe des 180.000 Liter fassenden Wassertanks an der Oasis Academy haben wir das Glück noch am gleichen Tag einer zweiten Zeremonie beiwohnen zu dürfen: Der feierlichen Einweihung von vier neuen Klassenräume an der Renate School. Obgleich aufgrund von kurzfristig veränderten Ferienzeiten nur verhältnismäßig wenig Schüler mit ihren Eltern zu den Feierlichkeiten erscheinen, sind es dennoch zwei große Feste, denen neben den Lehrern auch ein Beamter des Bildungsministeriums des Kwale Districts beiwohnt. Zahlreiche bunte Gewänder, lachende Kinder, traditionelle Tänze und so einige Reden machen die Feiern zu einem besonderen Erlebnis.

Neben dem Bau von Gebäuden kann Projektarbeit aber auch ganz einfach ganz viel bewirken. So beispielsweise beim Jiggers. Hierbei handelt es sich um einen Parasitenbefall durch Sandflöhe, eine vorwiegend hygienische Problematik, die dazu führt, dass sich die weiblichen Tiere vorzugsweise unter den Fuß- und Fingernägeln einnisten. Aber auch andere Körperstellen können befallen sein. Die betroffenen Personen – oftmals Kinder – leiden unter starken Schmerzen und können mitunter nicht mehr laufen. Jiggers gilt in Afrika als Volkskrankheit der Armen und Ungebildeten und an dieser Stelle drehen wir uns nun im Kreis. Kinder mit Jiggers gehen nicht zur Schule, da sie vor Schmerzen den Schulweg nicht bewältigen können. Gleichzeitig ist Bildung wichtig um diese Erkrankung dauerhaft eindämmen zu können. Traditionell wird Jiggers bekämpft, indem die Larven unter den Fuß- und Fingernägeln mit Nadeln versucht werden herauszuholen. Die Prozedur ist so schmerzhaft, dass die Kinder herzzerreißend schreien. Dabei ist die Hilfe so einfach. Duncan, ein wirklich beeindruckend engagierter Kenianer fährt mit seinem Team von Dorf zu Dorf und versammelt die betroffenen Menschen um sich herum. Es werden Plastikschüsseln mit einer Kaliumpermanganat-Lösung aufgestellt, in denen jeweils drei Kinder gleichzeitig für 15 Minuten ihre Füße baden. Während dieser Zeit wird ihnen erklärt, wie Jiggers entsteht und was sie tun können, um den Befall zu beenden bzw. zukünftig zu vermeiden. Tägliches Waschen mit Seife, etwas Vaseline und das Kurzhalten der Nägel und Haare. Das ist schon alles. Jedes  Kind erhält ein Stück Seife und es ist unvorstellbar, mit welch großen Augen sie dieses Geschenk entgegen nehmen. Sehr viele von ihnen halten das erste Mal in ihrem Leben ein Stück Seife in den Händen. Nach 14-tägiger Pause wird das Fußbad wiederholt und nach weiteren 14 Tagen erfolgt eine dritte Behandlung. Danach ist der Jiggers in den meisten Fällen verschwunden. Die Kosten für die gesamte Behandlung liegen pro Kind bei 5 €. Wir sind zutiefst beschämt. So viel überflüssiges Leid, das so einfach beseitig werden könnte.

Auch die Besuche bei den Patenkindern gehen nicht spurlos an uns vorüber. Wir sehen kleine Hütten mit Lehmfußböden, ohne Schrank und ohne Bett, in denen bis zu 8 Personen auf der blanken Erde nächtigen. Ein Bett, das hier inklusive Matratze um die 110 € kostet ist für viele Familien unerschwinglicher Luxus. Diejenigen die über eines verfügen, teilen es sich mit drei oder vier Personen. Wir sehen Ratten durch die Hütten huschen und fragen uns, wie sich die Lebensmittel die wir verteilen überhaupt sicher lagern lassen. Als es bei weiteren Besuchen auch noch zu regnen beginnt und sich die Flächen zwischen den palmenblattgedeckten Hütten mit großen Pfützen füllen steht schnell die Frage im Raum, wie viele der hier lebenden Menschen die kommende Nacht nicht nur auf dem blanken Lehmboden sondern auch noch in Nässe verbringen müssen.

Die Begegnungen und Erlebnisse werfen immer mehr Fragen auf. So erfahren wir, dass die Miete für eine winzig kleine 2-Zimmer-Wohneinheit in Ukunda monatlich bei etwa 50 € liegt, Stromanschluss inklusive. Die Miete für einen ebenso winzig kleinen Laden im trubeligen Marktgeschehen von Ukunda liegt bei einem Mietpreis von etwa 70 € pro Monat. Die Schulgebühren für ein Kind belaufen sich je nach Klasse, Schule und Region auf etwa 25-120 € pro Quartal. Ein Gärtner in unserem Hotel wird schätzungsweise um die 150 € im Monat verdienen. Ein Sicherheitsmann auf dem Land erhält für seine tägliche 12-Stunden-Schicht monatlich 100 €. Wie das alles aufgehen soll bleibt ein Rätsel.

Doch dann sind da plötzlich diese Momente, die einfach glücklich machen und jeden noch so leisen Zweifel vergessen lassen. Nach der Einweihung des Wassertanks an der Oasis Academy in Mamba Village kommt ein hochgewachsener schlaksiger Junge auf uns zu. Er ist eines der ersten Waisenkinder, die an dieser Schule vom Verein unterstützt wurden. Inzwischen hat er bereits die weiterführende Schule beendet und zwar so erfolgreich, dass er gute Aussichten auf ein Stipendium an der Universität hat. Er ist extra gekommen, um der Einweihungszeremonie beizuwohnen und um dem Verein Danke zu sagen. Danke dafür, dass sich jemand um ihn gekümmert hat. 

Damit wird deutlich, dass das übergeordnete Ziel von „Wir helfen in Afrika e.V.“, die Hilfe zur Selbsthilfe, am besten gelingen kann, wenn das Hauptaugenmerk auf der Schulbildung liegt. Langfristig steht die Unterstützung insbesondere zweier Schulen im Vordergrund, wobei nicht nur Wert auf eine gute Bausubstanz, sondern auch auf eine warme tägliche Mahlzeit, eine  gute Wasserversorgung, ausreichend Unterrichtsmaterialien und schlussendlich auch auf eine gute Ausbildung der Lehrkräfte gelegt wird.

Am vorletzten Tag unseres Aufenthaltes steht noch ein besonderer Punkt auf dem Programm. Wir besuchen einen Viehmarkt in der etwa 15 km von Mamba Village entfernten Ortschaft Mwangulu. Kajingu, der Vater eines Patenkindes sucht sich in tierischen Markttreiben zwei junge Ochsen aus, dessen Kauf ihm zwei Teilnehmer unserer Reisegruppe ermöglichen möchten. Er ist ein schmächtiger Mann, hat sich in beste Sonntagskleidung geworfen und ist aufgeregt wie ein Kind, als wir ihn vor seiner Hütte mit dem Auto abholen. Seine Wahl fällt schnell auf ein beiges und ein schwarz-weiß geflecktes Jungtiere und die Freude über dieses für ihn unerschwingliche Geschenk ist deutlich spürbar. Es bleibt zu hoffen, dass er die Chance auf ein besseres Leben, die sich ihm und seiner Familie mit dem Besitz dieser Tiere nun bietet, auch wirklich nutzt.

Ich bin unendlich dankbar für die vielen Erfahrungen und Eindrücke dieser Reise, für die hautnahen Begegnungen und für das Eintauchen in das wirkliche afrikanische Leben. Denn nur so ist es eigentlich möglich, ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, was Hilfe zur Selbsthilfe letztendlich bedeutet; was möglich ist, was Sinn macht und wo es auch Grenzen gibt. Entwicklungshilfe ist und bleibt eine Herausforderung, die neben Engagement und finanziellen Mitteln auch gegenseitiges Verständnis, Geduld und Ausdauer erfordert. Zugleich ist sie so notwendig, um überhaupt die Voraussetzungen für ein selbständiges Leben in Eigenverantwortung schaffen zu können.

Und zum krönenden Abschluss unserer Reise kommt er dann doch noch: der Regen, auf den schon alle so sehnsüchtig gewartet haben.

 

 

 

 

 

 

1 Anwort auf „Projektreise nach Kenia – die offizielle Übergabe des Wassertanks“

Großartig – geschafft !
Sicher hattet Ihr auf Eurer Australien-Umrundung noch keine Vorstellung, dass das Ergebnis so ausfallen würde! Ihr habt es geschafft, vielen Menschen durch Euer Projekt Hilfe zukommen zu lassen.
Schön, dass Ihr bei der Einweihung dabei sein konntet.

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